Netzwerkarbeit in der aufsuchenden Familientherapie (AFT)

Alltogether now !

von Mechtild Römer – AFT Therapeutin

Seit über einem Jahr hat die Pfefferwerk Stadtkultur auch die ambulante Familientherapie, einen kleinen und sehr feinen Arbeitsbereich, im Leistungsangebot. Das AFT-Team besteht aus vier Mitarbeiter:innen, alle sind berufserfahren und bringen unterschiedliche Spezialkenntnisse mit. Eine Gemeinsamkeit ist die systemische Denk- und Arbeitsweise mit einer grundsätzlich netzwerkorientierten Ausrichtung.

Die Netzwerkorientierung als Haltung findet sich auf verschiedenen Ebenen wieder. Wenn das Team als Kompetenzenpool verstanden und genutzt wird, kann sie beispielsweise in kollegialen Fallberatungen sichtbar werden. Dies bedeutet auch, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich als therapeutische Fachkraft Hilfe und Unterstützung zu holen.

In der Netzwerkorientierung im Hilfesystem ist davon auszugehen, dass alle beteiligten Akteure unterschiedliche Beiträge leisten können, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.     

Netzwerkorientierung in der aufsuchenden Familientherapie geht davon aus, dass außer dem therapeutischen Co-Team andere Menschen, aus dem institutionellen oder dem privaten Kontext hilfreich für einen erfolgreichen Verlauf und die Zielerreichung sein können.

Bevor eine aufsuchende Familientherapie von Eltern beantragt, von einer EFB oder einem KjpD empfohlen und von einem Jugendamt bewilligt wird, gab es oft schon mehrere Versuche, das Problem zu lösen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sind i.d.R. mehrere Personen und Institutionen mit der Familie oder dem sogenannten Indexkind mit verschiedenen Aufträgen oder Anliegen befasst.

Die netzwerkorientierte Arbeit der aufsuchenden Familientherapie bei Pfefferwerk beginnt bereits mit der Probatorik. Wir verschaffen uns einen Überblick, wer zur Familie gehört, wer aus dem familiären oder sozialen Umfeld für den Hilfeverlauf wichtig ist oder wichtig werden könnte, welche Institutionen, mit welchem Auftrag oder Anliegen  bereits mit der Familie Kontakt haben. Zur Visualisierung bietet sich das Anlegen einer Netzwerkkarte an.

Wenn beispielsweise Kita, Schule, Klinik, SPZ als bereits unterstützende Institution beschrieben werden, kann es im Therapieverlauf sinnvoll sein, die Schnittstellen sichtbar zu machen. Das sind die Bereiche, in denen mehrere „Köch:innen im selben Suppentopf rühren“. Dann geht es darum, die Zutaten miteinander abzustimmen, damit das zubereitete Mahl auch schmackhaft und gut bekömmlich wird.

Auf die Familientherapie bezogen bedeutet dies, dass beispielsweise Kita, Ergotherapie, Eltern und AFT kooperieren, mit dem Ziel „das Kind erhält die, für ein körperlich-seelisch gesundes Aufwachsen, erforderliche Unterstützung“. Es wird benannt, wer was zur Zielerreichung beiträgt und wo die Grenzen der individuellen Möglichkeiten sind. Hierfür ist es wichtig, die Erwartungen aneinander zu formulieren und den eigenen Möglichkeitsbereich zu kommunizieren. Dieser Prozess mag aufwendig erscheinen doch es lohnt sich, Energie und Zeit in eine lösungsorientierte Netzwerkarbeit zu investieren um Missverständnisse, Enttäuschungen, Ärger, destruktive Bündnisse oder Grenzüberschreitungen zu vermeiden. Klarheit im Hilfenetz bedeutet immer auch Klarheit und Orientierung für das Kind.

Netzwerkorientierte Arbeit funktioniert „Hand-in-Hand-in-Hand“ indem vorhandene Ressourcen von Familie, Sozialraum und Institutionen erfolgreich genutzt werden.

Die „Familienstube“ – Mehrfamilienarbeit in der Kita

Miteinander Elternkompetenzen stärken

von Claudia Bartz, Kita Wattstraße, Berlin

„Es ist sinnlos, am Kind allein herumzudoktern“, meint der Pionier der Multifamilientherapie und Londoner Psychiater Eia Asen. Und um diesem ganzheitlichen Ansatz zu entsprechen ist geplant, in der Kita Wattstraße der Pfefferwerk Stadtkultur eine Familienstube einzurichten und so die Elternarbeit zu fördern und ihre Kompetenzen als Erziehungsberechtigte zu stärken. Seit einigen Monaten werden wir dafür von Thomas Pletsch und Ulrike Behme-Matthiesen aus dem Schleswiger Institut für Weiterbildung und Entwicklung (IWES) geschult, die schon das Konzept Familie in Schule (FiSch) für die Zusammenarbeit von Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften in Mehrfamiliengruppen entwickelten. (>>> Ansätze der Mehrfamilienarbeit in Pfefferwerk-Einrichtungen)

Mit dem Konzept der Familienstube werden Methoden der Multifamilientherapie in den Kita-Bereich übertragen. Auf diese Weise unterstützen und „coachen“ sich Familien auch gegenseitig. In einem solchen Setting können die Familien „über Kreuz lernen“ – das heißt eine Familie lernt von einer anderen Familie. Hierbei werden sie durch einen Eltern-Coach und eine*n Erzieher*in für ihren Austausch untereinander unterstützt. Im Mittelpunkt steht die Stärkung der Beziehungen zwischen Eltern, ihren Kindern sowie ihren sozialen Netzwerken. Die Kita Wattstraße ist dafür auch in engem Austausch mit dem Jugendamt des Bezirks Mitte von Berlin und wir freuen uns auf die Kooperation.

Gemeinsam mit Eltern gegen Schulfrust – Mehrfamilienarbeit und Schulsozialarbeit

Lernen in „FiSch“-Klassen

von Nina Jogwer, Ernst-Reuter Schule, Berlin

Im August 2019 startete das Kooperationsprojekt der Temporären Lerngruppe (TLG) und des Teams »Familie in Schule« (FiSch) an der Ernst-Reuter-Schule in Berlin-Mitte. Die Teams, bestehend aus zwei Lehrer*innen, einem Multifamilientherapeuten und zwei Sozialpädagoginnen, stürzte sich voller Elan in den Aufbau der TLG & FiSch mit dem Ziel, den zukünftig teilnehmenden Schüler*innen aus den 7. und 8. Jahrgängen in einer Kleinklasse mit zehn Plätzen Halt und Orientierung in ihrem schulischen Alltag zu geben und sie darin zu unterstützen, die erforderlichen Anpassungsleistungen gut zu bewältigen.

Wir luden alle infrage kommenden Schüler*innen und Eltern ein, um gemeinsam mit ihren Klassenleitungen, dem zuständigem Jugendamt und der Schulleitung zu konferieren. Dann entschieden die Eltern: Dieses Angebot ist genau passend für unser Kind! Und wir als Eltern wollen -wenigstens einmal wöchentlich – bei »Familie in Schule« präsent und am Schulalltag unserer Kinder beteiligt sein! Schnell waren die zehn Plätze mit jeweils fünf Jungen aus insgesamt sieben 7. und 8.Klassen belegt.

Leider teilten manche der Jungen die Begeisterung ihrer Eltern für die TLG weniger. Sie fragten uns sehr skeptisch, was das überhaupt sei – eine Temporäre Lerngruppe? Warum ausgerechnet sie dahingehen sollten?? Und was eigentlich mit ihnen nicht in Ordnung sein solle???
Wir mussten feststellen, dass die konzeptionell vorgesehene, äußere Differenzierung für täglich jeweils drei Unterrichtstunden für die Schüler eine große Herausforderung darstellte und bei manchen das Gefühl entstehen ließ, sich aus der eigenen Klasse ausgeschlossen und wertlos zu fühlen.

Um dem entgegen zu wirken, nehmen wir Pädagog*innen konsequent die Stärken und Ressourcen der teilnehmenden Jungen in den Blick, sprechen Lob und Anerkennung aus und ermutigen immer wieder zum Lernen bis sie erste, auch eigenständige, Lernerfolge erreichen und ein positives Zugehörigkeitsgefühl zur Temporären Lerngruppe möglich wird.
Die größte Unterstützung der Schüler bewirkt dabei die Teilnahme ihrer Eltern am FiSch-Programm. Es stärkt die Zusammenarbeit zwischen den Schüler*innen, dem Elternhaus und der Schule sehr. Jeden Mittwoch geht es gemeinsam darum, die Jungen erfolgreich in ihre Schule zu integrieren.

Für alle, die Schule machen. Das neue Buch von Haim Omer

Haim Omer & Regina Haller

Raus aus der Ohnmacht –
Das Konzept Neue Autorität für die schulische Praxis

von Christoph Klein

Endlich ist es da, das Buch des israelischen Pioniers Haim Omer und seinem Team mit vielseitigen Beispielen zum Konzept der Neuen Autorität für die schulische Praxis. Nach seinem ersten Elternratgeber Das Geheimnis starker Eltern, in dem er zusammen mit Philip Streit sehr kompakt die wesentlichen Elemente des Konzeptes zusammenfasste, widmet er sich diesmal mit der Co-Autorin und Schweizer Schulleiterin Regina Haller wieder sehr ausführlich all denen, die im System Schule arbeiten. Es geht nicht um schwieriges Verhalten von Schülerinnen und Schülern, sondern darum, wie alle am Schulleben Beteiligten schwieriges Verhalten unwahrscheinlicher machen aber auch beherzt intervenieren können. Es geht um gemeinsame Haltungen, Zusammenarbeit, klare Botschaften und wirksames Handeln.
>>> … weiterlesen

Die Buchbesprechung ist bei socialnet erschienen.
Das Buch kann dort versandkostenfei erworben werden.

Weitere Buchbesprechungen zum Thema:
>>> Omer & Streit (2017): Neue Autorität: Das Geheimnis starker Eltern. Vandenhoeck & Ruprecht
>>> Omer (2015): Wachsame Sorge. Wie Eltern ihren Kindern ein guter Anker sind. Vandenhoeck & Ruprecht

Jede Menge praxisorientierter Übungen – Feedback zum Training Kinder aus der Klemme

Jede Menge praxisorientierter Übungen

Feedback zum Training für das Programm „Kinder aus der Klemme“
vom 21.-23.11.2019 in den Räumen der Aedes Gallery auf dem Pfefferberg

Ute Lauter

Das 3-tägige Training, das von einer der „Erfinderinnen“ des Programms, Justine van Lawick sowie von der Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des DRK-Klinikums Berlin Westend, Annegret Eckhart-Ringel durchgeführt wurde, bot neben theoretischen Inhalten jede Menge praxisorientierter Übungen.

Wir Teilnehmer*innen wurden während des Trainings emotional in Kontakt gebracht zu der Rolle, die Kinder einnehmen (müssen), wenn ihre getrennten Eltern sich anhaltend hochstrittig verhalten. Wir lernten den sogenannten „Zwischenraum“ kennen, die Situationen, in denen Kinder in den Konflikt der Eltern hineingezogen werden, und erlebten, welche Gefühle dieses „Hineingezogenwerden“ auslösen kann.

Das Training gab einen umfassenden Überblick über die Übungen, die Psychoedukation und die Hausaufgaben, die die Eltern, die sich für „Kinder aus der Klemme“ anmelden, in den Elterngruppen erwarten sowie über den Aufbau des 8 Sitzungen umfassenden Programms.

Darüber hinaus wurden die Sitzungen aus Sicht der Kindergruppe beschrieben, die zeitgleich zur Elterngruppe separat stattfindet. Es wurden Aufgaben und Anregungen für die Kindergruppe im Rollenspiel ausprobiert.  Sehr bereichernd war für uns trainierende Fachfrauen und -männer zu erleben, dass neben all dem Schmerz, dem Leid und den Ohnmachtsgefühlen auch Hoffnung, Optimismus und Neugierde Raum und Daseinsberechtigung haben.

Ein schönes Highlight war eine musikalische Darbietung von zweien der Teilnehmer*innen, die mit dem Lied „Kind auf dem Eis“ vertonten, wie Kinder sich zwischen Eltern mit anhaltenden Trennungskonflikten fühlen und was wir im Training in den Rollenspielen nachzuempfinden angeregt wurden.

Ich bedanke mich im Namen aller Teilnehmer*innen bei den Trainerinnen, die diese 3 Tage nicht zuletzt durch ihr feines Gespür für Humor trotz der Schwere des Themas zu einer bewegenden und motivierenden Fortbildung gemacht haben.

Organisiert wurde das Training von der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH in Kooperation mit dem PUK | Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen.
Das Programm Kinder aus der Klemme und eine wissenschaftliche Begleitung wird gefördert durch die SKala-Initiative

Quintessenzen zum Fachtag »Helfernetzwerke der Gegenwart« – Die Verantwortung des Therapeuten besteht heute darin Kontexte zu bauen!

QUINTESSENZEN ZUM FACHTAG »HELFERNETZWERKE DER GEGENWART«

Carina Bründlinger

Wie sehen unterstützende familiäre Netzwerke heute aus? Wie können professionelle Helfer*innen dazu beitragen, dass sie (wieder) entstehen? Wie kann es gelingen, in unserer individualisierten Gesellschaftskultur »ein Dorf« entstehen zu lassen, wo es gebraucht wird, um die Resilienz einer Familie und Gemeinschaft zu stärken?

»Die Verantwortung des Therapeuten besteht heute darin Kontexte zu bauen. Das macht es leichter, an die Eigenkräfte der Familien zu glauben.« (Eia Asen)

Um dieses Thema in seiner Vielfalt zu beleuchten und zu diskutieren, kamen mehr als 100 interessierte Teilnehmer*innen zum Fachtag »Helfernetzwerke der Gegenwart« am 13. Oktober 2018 auf den Pfefferberg. Die drei international erfahrenen Pioniere Eia Asen (London), Justine van Lawick (Haarlem) und Idan Amiel (Tel Aviv) berichteten von ihrer Arbeit mit Multifamiliengruppen und sozialen Netzwerken der Familien, damit sie sich gestärkt wieder als Teil einer Gemeinschaft erleben können. Nach drei Impulsvorträgen über Konzepte der Mehrfamilienarbeit/Multifamilientherapie, den Ansätzen der Neuen Autorität –Stärke statt Macht und dem Programm Kinder aus der Klemme für Familien in heftigen Trennungskonflikten brachten Pfefferwerker*innen aus Kita, Schule und Tagesgruppen Fallbeispiele ein, die in vier parallelen Dialogforen öffentlich supervidiert und miteinander diskutiert wurden. Dieses für den Fachtag selbst erdachte und erstmals erprobte Live-Supervisionskonzept wurde von den Teilnehmenden sehr gut angenommen. Inspiration, Perspektivwechsel und Vernetzungsmöglichkeiten – ganz im Sinne des Fachtags – wurden gelobt und die Resonanzen waren durchweg positiv!

»Ohne Arbeit mit dem Netzwerk haben wir keinen Erfolg! Wir können ihnen nicht helfen, wenn sie keine Unterstützer haben« (Justine van Lawick)

Verstärkt durch die Hamburger Multifamilientherapeutin Kerstin Klappstein moderierte die Radiojournalistin Ruth Kinet abschließend ein Podiumsgespräch mit allen Referent*innen zu Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Zukunftsperspektiven einer familien- und netzwerkinklusiven Sozialarbeit und Therapie. Alle waren sich einig, dass der Einbezug des Netzwerks der Familien zu allererst einen Haltungswechsel erfordert »Weg von: Ich brauche einen Experten für mein Problem, hin zu: ich werde mit Hilfe meines Netzwerks mein eigener Experte«, so Eia Asen. »Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit könne in unserer individualisierten Gesellschaftskultur wieder ‚ein Dorf‘ entstehen lassen, das dabei helfen kann, wieder zu mehr Selbstermächtigung und Resilienz zu gelangen«, meinte Idan Amiel. Auf die Frage, was das vernetzte Denken und Handeln am Berufsbild ändern würde, nannte Eia Asen gleich mehrere Auswirkungen: Die Verantwortung des Therapeuten sehe er darin, Kontexte zu bauen. Das netzwerkinklusive und multifamilientherapeutische Arbeiten mache es leichter, wieder mehr an die Eigenkräfte der Familien zu glauben. Schließlich gehe es darum, sich als Fachkraft mehr zurückzunehmen. Justine van Lawick und Idan Amiel waren sich nach jahrelanger praktischer Erfahrung sicher: »Ohne Arbeit mit dem Netzwerk haben wir keinen Erfolg! Wir können ihnen nicht helfen, wenn sie keine Unterstützer haben! «

Am Ende der bereichernden Diskussion fasste der Schlussbeitrag einer Teilnehmerin den Tag mit einer sehr klaren Botschaft zusammen: »Was wir brauchen, ist Menschlichkeit! Wenn wir das überall verbreiten, dann ändert sich auch die Haltung! Ich gehe heute hier raus mit ganz viel Hoffnung – das war ein toller Tag!

Carina Bründlinger leitet das PUK –Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH

Weiterführende Links

>> Kinder aus der Klemme – Arbeiten mit Netzwerken (youtube-Link)
Vortrag von Justine van Lawick anläßlich des Internationalen Fachtags Helfernetzwerke der Gegenwart – Stärkung von sozialen Netzwerken und Familienbeziehungen, 13. Oktober 2018, Pfefferberg
>> Audio-Datei: Brief eines Vaters an sein Kind (mp3-Datei, 1:30 min)
Beispiel einer Präsentation von Eltern im Programm Kinder aus der Klemme – vorgetragen von Justine van Lawick anläßlich des Internationalen Fachtags Helfernetzwerke der Gegenwart – Stärkung von sozialen Netzwerken und Familienbeziehungen, 13. Oktober 2018, Pfefferberg
>> „Stärke statt Macht – Das Konzept der New Authority“ (youtube-Link)
Abendvortrag von Idan Amiel am 17. Oktober 2017 auf dem Berliner Pfefferberg
>> Gewaltfreier Widerstand und New Authority in der Familientherapie (youtube-Link)
Prof. Haim Omer beantwortet in einem kurzen Video (40 min) Ben Furmans Fragen u.a. über Gewaltfreien Widerstand, Neue Autorität, Elterliche Präsenz, Wachsame Sorge und Unterstützernetzwerke

Stell Dir vor, zwei Kinder prügeln sich, und der Schulleiter übernimmt Verantwortung! – Über Wiedergutmachungshandeln, Screenager und die richtige Dosis Sirup

Ein Erfahrungsbericht vom Professional Training im Meisterkurs Verbindende (neue) Autorität – Stärke statt Macht am 11./12. Oktober 2018 auf dem Pfefferberg, Berlin

von Till Brinkmann und Christoph Klein

Im Rahmen der Kooperation zwischen dem New Authority Center und der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH fand am 11./12. Oktober 2018 erstmals mit 17 Teilnehmer/innen das 2-tägige Professional Training Neue Autorität und Gewaltfreier Widerstand statt. Begleitet von Iris Schacher-Lavie leitete wieder Idan Amiel den „Meisterkurs“. Auf dem Basistraining aufbauend ging es diesmal um themenspezifische Konzepte und angewandte Forschung u.a. im Umgang mit übertriebener Mediennutzung („Screenager„), Gewalt und Mobbing in Schule. Im Mittelpunkt standen eingebrachte Falldarstellungen der Teilnehmer/innen. Und wieder war es eine lernintensive Erfahrung und bescherte viele neue Einsichten, Erfahrungen und Gedanken.

Mithilfe der Falldarstellungen wurden in Rollenspielen verschiedene Perspektiven der Neuen Autorität verdeutlicht. In einem Fall stand die Einbeziehung des Netzwerkes „Schule“ und die damit verbundenen „Besonderheiten“ z.B. bei der Motivierung und Einbeziehung von Lehrern in ein Unterstützernetzwerk für die Eltern und die betroffenen Kinder im Fokus. Die im Basistraining vorgestellten Grundprinzipien und Interventionen-„Tools“ wurden durchgespielt, vertieft und wir wurden ermutigt, sie den Lebenswirklichkeiten unseres Klientels anzupassen und damit zu „experimentieren“. Idan entwarf das Bild von der Neuen Autorität als „Wissens-Sirup“, den es je nach Fall entsprechend viel oder weniger zu dosieren gelte, um jeweils optimal an die konkrete Situation angepasst zu sein. Immer wieder betonte er seinen personal belief, wie wichtig es sei, Bewegung in festgefahrene Strukturen zu bringen – to create a change! – und dabei durchaus auch das Risiko einer Verschlechterung der Situation im Blick zu behalten!

Die im Gegensatz zu Idan eher ruhige und sehr kompetente Iris Schacher-Lavie berichtete überaus anschaulich aus ihrer Forschung zu Screenagern und der Digitalen Familie. Überzeugend und hilfreich leitete sie aus den Ansätzen der Neuen Autorität Grundprinzipien für die Arbeit mit Eltern ab. Ein aktuelles und spannendes Thema, das sogar zeitgleich als Titelstory im Magazin Der Spiegel erschienen war („Generation Smartphone“). Und nicht weniger aktuell nahm Idan einen Fall zum Anlass, um ausführlich auf die Idee der Wiedergutmachungs-Handlungen einzugehen. Wenn durch Gewalt oder eine andere Tat das Miteinander einer Gemeinschaft gelitten hat, sei es unser aller(!) Aufgabe, uns darum zu kümmern! Auch Schuldirektoren und Eltern haben Verantwortung und sollten handeln, selbst wenn das schlagende oder klauende Kind selber dazu (noch) nicht bereit ist! Würde diese Geisteshaltung in Familie und Schule gelebt, gäbe es weniger Kinder, die sich durch Schuld zuschreibende Bestrafungen in ihrer Würde verletzt fühlen. Was für eine Gesellschaft bekämen wir, wenn diese Kinder dann erwachsen sind? Im Anschluss an den Meisterkurs fand dann am 13. Oktober 2018 und am selben Ort der Internationale Fachtag Helfernetzwerke der Gegenwart statt, zu der neben Idan auch Eia Asen und Justine van Lawick kamen. Über deren jetzt schon praktizierten Zukunftsvisionen, auch heute wieder Dörfer entstehen zu lassen, die Familien unterstützen, das ist noch so eine andere schön Geschichte…

Teilnehmer des Basistrainings zur Neuen Autorität mit Idan Amiel auf dem Pfefferbger 2018 sitzen im Kreis.

Erfahrungsbericht und einige Gedanken zum 3-tägigen Basistraining Stärke statt Macht – Die Neue (andere) Autorität

Von Till Brinkmann, Systemischer Familientherapeut

Um meinen Gesamteindruck vorwegzunehmen: Ich war hellauf begeistert von dem dreitägigen, intensiven und inspirierenden Basis- Training! Der Referent Idan Amiel, den ich zum ersten Mal live erleben konnte, erinnerte mich gleich an eine gelungene Kombination zwischen den Schauspielern Yul Brynner und Luis de Funes: sehr intensiv und lebendig, gleichzeitig auch überraschend und lustig. Super Kombi! Außerdem ist er sehr kompetent, ein ausgewiesener Fachmann auf seinem Gebiet, der mich inhaltlich und didaktisch überzeugte. Mit seiner authentischen und unterhaltsamen Art ist es eine Freude ihm zuzuhören.

Wir, ca. 32 Teilnehmer, wurden von ihm und seinen Kolleginnen Galit, Nitsan und Dana (ebenfalls klinische Psychologinnen aus Tel-Aviv) während der 3 Tage ordentlich in die Mangel genommen. Auch wenn Idan in kurzen Impulsvorträgen die verschiedenen Themen des Basistrainings einführte, waren die sehr kompetenten Kolleginnen nicht minder unterhaltsam und intensiv in ihrer Präsenz und Präsentation. Sie leiteten hauptsächlich die 3 Kleingruppen, in denen die einzelnen Aspekte des Programms vertieft und ergänzt wurden. Die obligatorischen Rollenspiele waren gut eingeführt und inhaltlich gerahmt und eröffneten neue Perspektiven auf die Problemfelder der Arbeit mit Familien. Außerdem machten sie auch eine Menge Spaß und wir konnten die vorher „theoretisch“ vorgestellten Methoden praktisch erproben und unsere eigenen Erfahrungen sammeln.

Des Englischen soweit mächtig, musste ich mich doch sehr konzentrieren, um dem schnell und intensiv gesprochenen Englisch von Idan folgen zu können. So dass auch die Simultan-Übersetzerin vom Idans Englisch ins Deutsche bisweilen ganz schön schwitzen musste. Seine ebenfalls englisch sprechenden Kolleginnen waren da etwas „gnädiger“ mit uns. Schwitzen mussten allerdings auch alle anderen Teilnehmer im schönen
„Schwarz-Weißen-Pfeffer“ (passender Name…) Raum im Pfefferwerk wegen der „angenehmen“ ca. 28 Grad der ersten Wärmewelle während der Kurstage. Gute Verpflegung und „Bekümmerung“ vom Pfefferwerk (Danke dafür!) machten es aber sehr gut verträglich.

Insgesamt wurde in diesen 3 Tagen die seit Jahren vom Team um Idan Amiel und Hain Omer entwickelte Arbeitsweise zur Unterstützung von „Multiproblemfamilien“ vorgestellt, welche das Team schon seit Jahren erfolgreich in der Elternberatungsstelle am „Schneider Childrens Medical Center of Israel“ in Tel Aviv praktiziert und auch ständig weiterentwickelt.

Neu an diesem Programm war für mich vor allem der Aspekt, die Stärkung der Eltern absolut in den Mittelpunkt zu stellen. Darauf zu fokussieren, welche Kompetenzen die Eltern durch einen ganz praktischen „Arbeitsablauf“, bei dem jeder Schritt inhaltlich und auch emotional aufeinander aufbaut, weiter zu stärken und ausbauen zu können.
Die Eltern bekommen ein praktisches Arbeitstool, was auch genug flexibel ist, die verschieden individuellen Problemstellungen zu berücksichtigen, was ihnen hilft, ihre
elterliche Autorität grundlegend zu verändern und zu stärken.

Meiner Meinung nach eröffnet die vorgestellte Arbeitweise, deren Grundlage die Ideen des Gewaltlosen Widerstandes ist, eine ausgezeichnete Möglichkeit, problematische Eltern-Kind(er)-Beziehungen positiv zu beeinflussen. Positiv im Sinne von: wieder authentischen Kontakt herzustellen, Klarheit und Verbindlichkeit (wieder) zu etablieren und damit Wohlwollen und Wertschätzung in der Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern (wieder) wachsen zu lassen damit sie sich (wieder) so begegnen können, wie sie es sich im Grunde wünschen und auch alle für ihr Wachstum brauchen: mit Respekt und Liebe.
Das sind zwar große Worte, aber meiner Meinung letztendlich das Ziel jeglicher Arbeit mit Multiproblemfamilien. Nicht immer erreichbar – aber möglich.

Vielen Dank für dieses Training an Idan Amiel und sein Team, so wie an das Team vom Pfefferwerk und Balagan!

Drei Pioniere der Arbeit zur Stärkung familiärer und professioneller Netzwerke auf dem Berliner Pfefferberg

Beitrag von Christoph Klein

Das durch eine westliche Kultur geprägte Streben nach Individualisierung hat auch eine Kehrseite. Nicht mehr selbstverständlich können sich Familien auf die Unterstützung durch Familienangehörige oder gar das sprichwörtliche „ganze Dorf“ verlassen. Die sehr unterschiedlichen Konstellationen von Patchworkfamilien schaffen einerseits neue Möglichkeiten andererseits aber häufige Veränderungen und Unruhe. Nicht zuletzt sind Familien auch wegen einer für das Familieneinkommen erforderlichen Arbeitsbelastung auf Unterstützung angewiesen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn Eltern allein nicht selten mit der ihnen übertragenen Sorge und Verantwortung für ihre Kinder überfordert sind.

Wie kann es gelingen, in unserer individualisierten Gesellschaftskultur „ein Dorf“ entstehen zu lassen, wo es dringend gebraucht wird, um die Resilienz einer Familie und Gemeinschaft wieder zu stärken? Wie sehen unterstützende familiäre Netzwerke heute aus und wie können Helfer/innen dazu beitragen, dass sie entstehen? Wo liegen die Potentiale, aber auch Stolpersteine und welche professionellen Haltungen und Antworten brauchen wir dafür? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt unseres Fachtages Helfernetzwerke der Gegenwart – Stärkung von sozialen Netzwerken und Familienbeziehungen.

Die drei international erfahrenen Pioniere einer familien- und netzwerkinklusiven Arbeit Justine van Lawick (Haarlem), Eia Asen (London) und Idan Amiel (Tel Aviv) berichten davon, wie sie auf unterschiedliche Weise mit Familien arbeiten, Helfernetzwerke aus Schule, Jugendamt und Psychiatrie einbeziehen und/oder soziale Netzwerke der Familien wie Freunde, Verwandte, Patchwork-Angehörige dafür gewinnen, gemeinsam eine „Soziale Arena“ zu schaffen.

Nach drei Impulsvorträgen über Konzepte der Mehrfamilienarbeit/Multifamilientherapie der Neuen Autorität – Stärke statt Macht und das Programm Kinder aus der Klemme für Familien in heftigen Trennungskonflikten diskutieren Referent/innen und Teilnehmer/innen des Fachtages in parallelen Dialogforen Fallbeispiele und tragen bewährte Interventionen zusammen.

Abschließend moderiert die Journalistin und Autorin Dr. Ruth Kinet ein Podiumsgespräch, über die Erfahrungen des Austauschs und was wir heute tun können, um Familienbeziehungen zu stärken.

Justine van Lawick ist Klinische Psychologin, Familientherapeutin und Trainerin der niederländischen Vereinigung für Beziehungs- und Familientherapie (NVRG), Mitbegründerin des Lorentzhuis Haarlem, Niederlande. Sie entwickelte das Programm Kinder aus der Klemme als wirksame Intervention in hochkonflikthaften Trennungssituationen.

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Eia Asen ist Kinder-, Erwachsenen- und Familienpsychiater sowie Autor mehrerer Standardwerke zur Multifamilientherapie. Er war Direktor des Marlborough Family Service, eines systemisch orientierten gemeindenahen ambulanten Psychotherapiezentrums, und arbeitet heute am Anna Freud National Center for Children and Families.

IdanamielIdan Amiel ist Leiter der Elternberatungsstelle am Kinderkrankenhaus „Schneider Children`s Medical Center“ in Israel und eine der Schlüsselpersonen für die Entwicklung der Konzepte zur Neuen Autorität. Gemeinsam mit Prof. Haim Omer gründete er 2007 das New Authority Center (NAC)

Samstag, 13. Oktober 2018, 9 -17 Uhr | Pfefferberg | Haus 13 | 10119 Berlin
Teilnahmegebühr: 95 €, DGSF-Mitglieder 85 € (inkl. Pausen-/Mittagsversorgung)
Anmeldung bis 30.06.2018 (max. 100 TN)
>>> praesenzundkompetenz.de | puk@pfefferwerk.de
>>> Flyer (pdf-Datei)

Die Veranstaltung der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH wird durchgeführt in Kooperation mit der Carl Auer Akademie (CAA) sowie der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und ist gefördert durch die SKala-Initiative.

Shot of a little girl looking unhappy as her parents argue in the background

SKala-Initiative fördert das Programm „Kinder aus der Klemme“

Beitrag von Christoph Klein

Die SKala-Initiative der Unternehmerin Susanne Klatten ermöglicht es der Abteilung Kooperation Jugendhilfe – Schule der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH ein innovatives Konzept in der Beratung von Familien in hochkonflikthaften Trennungen zu erproben und zu erforschen, und damit unsere multifamilientherapeutische und Netzwerk-Arbeit mit Familien auch konzeptionell weiter zu entwickeln. Dafür kooperieren wir seit 2016 mit dem Jugendhilfeträger Jugendwohnen im Kiez – Jugendhilfe gGmbH.
Das Interventions-Programm Kinder aus der Klemme wurde von Kindertrauma- und Familientherapeuten in den Niederlanden für das Arbeiten mit Familien in starken Trennungskonflikten entwickelt, um Eltern zu befähigen, für Sicherheit und Entwicklung ihrer Kinder zu sorgen. Das anhaltend hohe Konfliktverhalten der Eltern mutet Kindern dauerhaft einen emotionalen Ausnahmezustand zu – mit schwerwiegenden Folgen. Auf Grundlage erlebnisintensiver, systemischer, handlungsorientierter Interventionen wird mit Familien in Gruppen gearbeitet (Multifamilientherapie). Auch die sozialen Netzwerke der betroffenen Familien werden aktiv mit einbezogen und gestärkt. Mittels (therapeutischer) Präsenz und Elementen des Offenen Dialogs werden in 8 Sitzungen Inhalte in Theorie und Praxis erlebbar gemacht, individuelle Themen erarbeitet, reflektiert, der Transfer in den Alltag geübt und abschließend die Ergebnisse präsentiert. Auf individuelle und sehr kreative Weise verschaffen sich dabei vor allem auch die Kinder und Jugendlichen Gehör, wie sie der Konflikt trifft.
Durch die Förderung soll in Berlin ein innovatives Konzept zur Prävention schwerwiegender Langzeitfolgen für Kinder und zur Vermeidung bzw. höheren Effizienz von Hilfeleistungen für eine problematische und bisher schwer erreichbare Zielgruppe etabliert werden. Wir wollen die Kooperation mit anderen Trägern stärken und eine tragfähige Grundlage für die weitere Zusammenarbeit im Sinne des Projekts schaffen.
In Kooperation mit einem Team der Medical School of Berlin (MSB) wird bereits die Einführung des Programms wissenschaftlich evaluiert und weiterhin hinsichtlich seiner Wirkungen erforscht. Mit diesem Leuchtturm-Projekt können wir uns fachlich noch stärker positionieren und durch die Veröffentlichungen und Fachkonferenzen weit über die Grenzen Berlins hinaus eine breite Öffentlichkeit erreichen.
Für die Unterstützung zu dieser Förderung bedanken wir uns außerdem herzlich beim Team vom gemeinnützigen Analyse- und Beratungshaus PHINEO!

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